Montag, 1. Dezember 2014

IRAN - Der Sepp im Orient

Oktober 2014. Wir verlassen das wunderbare Isfahan, sitzen wieder im Bus. Haben es uns gemütlich gemacht, unsere Frauen haben ihre Kopftücher abgenommen. Heute stehen viele Buskilometer durch die Wüste am Programm. Wir passieren kleine Siedlungen, verlassene Karawansereien, mächtige Bergformationen und beobachten eine Polizeikontrolle. Ziel ist die Oasenstadt Yazd, mit zoroastrischen Feuertempeln und "Türmen des Schweigens", mit typischen Windtürmen und, nicht wirklich überraschend, sehenswerten Moscheen.
       
Da mir Links und Rechts sonst nicht weitere Abwechslung bieten, bleibt genug Zeit, Reiseteilnehmer Josef vorzustellen. Wir nennen ihn respektlos-vertraulich Sepp. Er ist 80 und erinnert auch sonst ein bisschen an Udo Jürgens. Weil er beispielsweise kein bisschen weise ist. Er hat das mit der islamischen Revolution im Iran irgendwie mitbekommen, auch dass wir hier alkoholfrei unterwegs sind. Aber dass sich die Mädchen und Frauen mit ihren hübschen Gesichtern und ausdrucksvollen dunklen Augen hinter Kopftüchern, Schleiern und dem Tschador verstecken, will er nicht so richtig akzeptieren. Das hat er, allerdings ohne positive Resonanz der lokalen Weiblichkeit, schon am großen Platz in Isfahan deponiert. Sepp zählt zum umtriebigen Teil unserer Reisegruppe. Er war früher und zumindest in der Zeit, die er hart arbeitend in Wien verbrachte, ein bisschen ein Schwerenöter. Kennt aus früheren Besuchen in der Inneren Stadt weniger das „Sacher“, sondern eher das Hotel „Orient“. Sieht immer noch scharf durch seine Krankenkassenlesebrille. Daher blieb ihm im Iran-Reiseführer auch nicht das gleichnamige Hotel in der Oasenstadt Yazd verborgen. Also nicht das Sacher.


Auch seine Phantasie hat er sich bewundernswert erhalten. Die braucht er auch, versucht er doch, sich ins Innere der schwarzen Umhänge iranischer Frauen zu denken. Wir alle, auch Sepp, wissen: was teilweise verborgen, nur angedeutet ist, ist oft reizvoller als die nackte Wahrheit. Somit ist unser Sepp, aufgeputscht durch Pistazienkekse mit Rosengeschmack und Schälchen voll zimtigen Orangentees, schon fast in Hochstimmung, als wir in Yazd ankommen und einchecken. Nicht im „Orient“, das aber nur wenige Minuten von unserer Hotelanlage entfernt ist und auch in der Innenstadt liegt. Nahe der Jame-Moschee mit den sehenswerten hohen Doppelminaretten und vor den Souvenirgeschäften voll Stoffballen, kupfernen Töpfen, kunstvollen Porzellantellern, Gewürzen und Früchten. Wir sehen die Melonen und Granatäpfel, für die Yazd berühmt ist. Auch Sepp denkt an Melonen und Granaten. Zudem plärrt ihm der nahe Lautsprecher-Muezzin zart aufmunternde Worte ins rechte Ohr (links hört er nicht mehr so gut), sodass er nun nicht mehr zu halten ist. Zwischen den Alleebäumen der Mahdi-Straße findet man Filialen der scheinbar unzähligen Banken des Iran. Sepp folgt seinen inneren Trieben und seiner inneren Stimme und besucht die Samen-Bank.
 
Vor dem Glasportal des „Finanz- und Kreditinstitutes“ muss nun auf Grund der hohen sittlichen Ansprüche des Landes (und meines Blogs) das öffentliche Interesse enden, es beginnt Sepp`s Privatsphäre. Der Blogschreiber will schließlich das nächste Mal wieder problemlos in den Iran einreisen (und ausreisen). Irgendwie können wir jedenfalls alle nur ahnen, dass Sepp keinen Verstoß gegen die strengen Gesetze des Irans begangen hat. Nicht begehen konnte. Nichts von der Samen-Bank abheben konnte. Seine Bankomatkarte wurde auf Grund des US-Embargos nicht akzeptiert. Sepp konnte keinen Stundenaufenthalt im Orient-Yazd buchen, keine islamische, im schiitischen Iran mögliche  „Ehe auf Zeit“ eingehen.


Die Historie der beiden Orient-Hotels ist eine lange und reiche. Nur Wüsten- und Stadtmäuschen könnten amouröse Geschichten und Anekdoten erzählen: über alte Feldherren und aktuelle Diplomaten, Gaukler des 11. und Schauspieler des 20.Jahrhunderts. Von TV-Kommentatoren. Von früheren Händlern und heutigen Managern bis zu einfachen Steuer- und Ortstaxenzahlern wie Du und ich. Also wie Sepp. Und über die vielen weiblichen Orient-Gäste mit und ohne Schleier. Nur Mäuschen könnten das - das Hotelpersonal war und ist bis heute, in Yazd und ganz besonders in Wien, diskret und verschwiegen.


Die mitten in der Dasht-e Kavir-Wüste liegende Oasensiedlung Yazd wurde vor  2300 Jahren von Alexander dem Großen gegründet, der hier Adelige der  besiegten Achämeniden-Dynastie im Kerker gefangen hielt. Das Gefängnis gibt es heute noch, auf persisch heißt der Kuppelbau Zendan-e Iskander. Er liegt nur ein paar hundert Meter vom „Orient“ entfernt.  Dieses war damals eine einfache Oasenherberge, eine typische Karawanserei für Reisende auf der Seidenstraße,  für Handelsleute, Beamte und Soldaten des Schahs und für die pilgernden Anhänger der hier stark verbreiteten Zarathustra-Religion. Der spätere Mongolensturm verschonte Yazd, sodass viele historische Gebäude, auch alte Gästehäuser im Zentrum wie das „Orient“ erhalten blieben. So konnte Togha-Schah (wir lernen: von der lokalen Atabeg-Dynastie) 1272 den Chinareisenden Marco Polo in Yazd empfangen und in seiner Lieblingsherberge unterbringen. Ob Marco ein früher Udo oder Sepp war, verschweigt die Geschichte. Ob andere Schahs im Yasder  „Orient“ kurzgewohnt haben, fehlt in den nachrevolutionären Chroniken. Amouröse Exkursionen hatten sie bei ihrem imperialen Luxus und großem Harem auch nicht nötig. Dass unser aller Kaiser Franzl im Wiener „Orient“ zu Besuch war, ist hingegen eines der gut gepflegten Gerüchte. Noch heute hängt dort ein Schratt-Gemälde. Udos haben Ende des 20. Jahrhunderts unser, also Sepp’s „Orient“ geradezu frequentiert: Jürgens (der ein bisschen an Sepp erinnert), Proksch und Lindenberg gehören zur natürlich nicht bestätigten Gästeliste des Stundenhotels.

Sepp kann froh sein, dass es hier mit der Samen-Bank nicht geklappt hat.Von der (ziemlich heruntergekommenen) Dachterrasse des „Orients“ hat man zwar einen tollen Blick auf die beiden Minaretttürme, auf die kunstvolle Mausoleumskuppel des Wissenschaftlers Seyyed Rokn Al-Din aus dem 8.Jahrhundert, auf Basardächer und Altstadt. Auf den mit bequemen Polstern und Teppichen ausgestatteten Holzliegen im Innenhof des Hotels kann man zwar angenehm entspannen und gesüßten Schwarztee oder alkoholfreies Bier genießen. Am Wasserbecken vom Schleier persischer Prinzessinnen oder des Zimmermädchens träumen. Aber die Zimmer selbst sind mehr als einfach und eng und wären für Sepp’s angedachtes lustvolles Stelldichein nicht richtig liebesfördernd gewesen. Glaub ich.

        


Gleich zwischen „Orient“ und der Moschee liegt der Eingang zu den alten Marktgängen. Die leer sind, schmutzig und finster, ihre kunstvolle Kuppelarchitektur verbergend. Sie warten noch auf ihre Restaurierung.  Und UNESCO-Unterstützung. Schließlich ist die historische Altstadt von Yazd Kandidat als Weltkulturerbe. Nach kurzem Spaziergang durch die faszinierenden, engen Gässchen zwischen braunen kleinen Häusern und Mauern aus Lehm erreicht unsere Gruppe, komplett mit Sepp, das geöffnete Basarviertel der Stadt. Uns umgibt die bereits bekannte geschäftige Atmosphäre, wir besuchen die Marktstände, nehmen Geräusche und Gerüche auf.
    
Etwas ist neu, verwirrend: was bedeuten die Schilder an den – natürlich korrekt konservativ gekleideten – Kleiderpuppen?  Als wir den Basar verlassen, blitzen Sepp’s Augen noch einmal auf. Ein Lokal mit schriller Neonschrift, Stiegen, die in ein mysteriöses (rotlichtiges, Kurzehe versprechendes?) Obergeschoß locken, erinnern ihn an Bangkok, wecken damit noch einmal verdrängte Urinstinkte. Es ist nur ein kurzes Aufflackern, schließlich folgt er uns brav zum Bus.


Die Geschichte hat Yazd und Wien auf wunderbare, sehr menschliche Weise verknüpft. Sie geht zurück bis Mitte des 17.Jahrhunderts, als es einen seldschukischen Händler mit Namen Shim an-Koh (übersetzt: Shim vom Berg) aus dem uns nun bekannten Basar von Yazd nach Konstantinopel verschlug. Dann im Gefolge der osmanischen Eroberungszüge nach Südosteuropa, und bei der 2.Türkenbelagerung 1683 sogar weiter  bis nach Wien. Wie wir alle aus der Schule wissen, waren die Osmanen nicht richtig erfolgreich und mussten wieder abziehen. Zurück blieb unter anderem Herr an-Koh, der vorerst Migrationsprobleme hatte und es ablehnte, seinen Namen in Bergmann oder Berger zu verdeutschen. Doch erfahren, clever und flexibel wie er war, und sich rasch an die klare Sprache und den gemischten Satz gewöhnend, leistete er seinen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum der Stadt. Nahe der Mündung des damaligen Ottakringer Bachs in einen Seitenarm der Donau (heute: Tiefer Graben), bei der die Händler und Matrosen der Donauschiffe aus ihren Beibooten orientalische Restposten und Sonderangebote verscherbelten, errichtete er einen kleinen Laden. Später kamen Kebab-Bude, Schankhaus und Herberge hinzu, in denen die Schiffer ihre gerade verdienten Taler und Kreuzer gleich wieder verjuxen konnten. Bald wurde unser schnauzbärtiger, nun schon betagter Shim einer der führenden Importeure der ihm so wohl bekannten Schätze des Orients, von Gewürzen, Gold- und Silberschmuck, sogar von Brokatstoffen und Teppichen der Türkei und  seiner persischen Heimat. Sein Gast- und Lusthaus nannte er in einem Anfall von Heimweh einfach „Orient“. 200 Jahre später und nach diversen Besitzerwechseln wurde es zum „Hotel Orient“. Heute noch heißt eines der speziellen und einzigartigen Hotelzimmer 1001 Nacht", im Sinne und Geist des Urpatrons Shim an-Koh. An das Zimmer kann sich Sepp wahrscheinlich nicht mehr erinnern, vielleicht aber an die Nacht.

Kommentare, Anregungen, eigene Erfahrungen, Vorschläge, Reiseanfragen etc. sind willkommen!  tretenhahn@eastlink.at
Allfällige Namensgleichheiten (also zB Alexander) wären rein zufällig und sind aber sowas von nicht beabsichtigt!

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